Vorbereitung
Ich war mir schon bewusst, dass ich bei diesem Lauf,
betreffend Dauer und Anforderungen, Neuland
betreten würde. Andererseits habe ich nie gezweifelt, dass ich die
Herausforderung erfolgreich bewältigen könnte. Ich war davon ausgegangen, dass
ich zwischen 20 und 24 Stunden benötigen würde.
Da unsere Jungs bei Omi und Neni in den Ferien waren,
nutzten Silvia und ich die Gelegenheit für einen Kurzurlaub zu Zweit. Am
Dienstag Nachmittag sind wir also bereits nach Grindelwald angereist. Die
steilen Berghänge haben mich ziemlich beeindruckt. Bei der Durchfahrt in
Burglauenen war mir zwar gleich klar, wo ich die Hauptstrasse überqueren würde,
der Weg vom Berg runter und auf der anderen Seite wieder rauf, konnte ich mir
aber nicht vorstellen. Das sah beidseitig so unpassierbar aus.
Mittwoch und Donnerstag waren dann gemütlich und wir haben
sogar das letzte Streckenstück auf die Pfingstegg abgewandert. Irgendwie habe
ich in dieser Phase etwas den Respekt verloren. Ich hab mir einen Zeitplan
gemacht und wollte vor Mitternacht, das heisst nach spätestens 19.5 Stunden im
Ziel sein. Für mich war alles klar und die einzige Sorge, ob es am Samstag
Abend ein Gewitter geben würde – Wie kann man nur so naiv sein?
Streckenerkundung mit Silvia (Gletscherschlucht) |
Am Freitag Morgen haben wir dann die Startnummer abgeholt
und die Ausrüstung kontrollieren lassen. Ich habe mir noch Sponsor-Energie-Gels
gekauft um den Geschmack und die Verträglichkeit zu testen. Eigentlich wollte
ich diese Gels nicht nutzen und mich mit meinen eigenen Powerbar-Gels
verpflegen. Gemäss meiner Erfahrung, hatte ich bis jetzt sowieso immer zu viel
Verpflegung dabei. (Wenn man Neuland betritt, können sich Erfahrungen ändern!).
Bis zum Briefing um 19:30 Uhr war dann relaxen im Schatten angesagt. Beim Briefing
nicht viel Neues. Die Wetterprognose verspricht einen heissen Tag. Gewitter sind
nicht ausgeschlossen, es herrscht aber vorsichtiger Optimismus. Nach dem
Briefing gibt noch ein Mehrgang-Menü im Hotel, bevor es endlich ins Bett geht.
– An Schlaf ist natürlich nicht zu denken. Typische Wettkampf-Nervosität.
Um 3:00 Uhr geht der Wecker und ich stehe erstaunlich gut
auf. Alles liegt bereit und ich tape die neuralgischen Stellen, ziehe mich an,
verabschiede mich von Silvia und mache mich auf den Weg zum Start. – Trotz
frühen Morgenstunden ist es schon sehr warm und ich merke, dass das
Kurzarm-Tenü völlig ausreicht. Ich gebe meinen Drop-Bag für Burglauenen ab und
drücke mir zum Frühstück den ersten Gel rein. Auf die gekauften Brötchen und
den Comella-Drink habe ich keine Lust.
Höhenprofil |
Alles easy - (Start – Grosse Scheidegg)
Ich stelle mich rechtzeitig in die Startbox und reihe mich
so im hintersten Drittel ein. Die letzten Minuten vor dem Startschuss um 4:30
Uhr sind dann sehr emotional für mich. Die EUT-Hymne wird gespielt und vor mir
verabschiedet sich eine junge Mutter mit dem Säugling von ihrem Mann/Vater. So
lange hatte ich mich auf diesen Moment vorbereitet, nun war es endlich soweit.
Mir kommen fast die Tränen vor Rührung. - Dann geht es los. Ganz ohne Hektik,
alle (zumindest hinten im Feld) haben ganz viel Zeit. Ausgangs Dorf schalte ich
meine Stirnlampe an, bald geht es auf Singletrails und das ganze Feld läuft in
Einerkolonne. Bei einer engen Brücke gibt es einen Stau, da dies am Briefing
angekündigt wurde, nehmen es alle locker. Als der Weg breiter wird, kann ich zu
Martin Zwahlen aufschliessen. Er hat einen Startplatz am Ultra Trail Mont Blanc
2014 und nutzt den EUT als Vorbereitungstraining. Wir unterhalten uns ein wenig
und fotografieren uns gegenseitig mit Eiger-Hintergrund auf der Grossen
Scheidegg.
Grosse Scheidegg im Gegenlicht der aufgehenden Sonne |
Strecke Etappe: 7.7
km
StreckeTotal: 7.7
km
Hm Etappe: +1‘100
m / -150 m
Hm Total: +1‘100
m / -150 m
Zeit Etappe : 1:45 h
Zeit Total: 1:45
h
Immer noch alles easy - (Grosse Scheidegg – First – Bort –
First)
Die Verpflegung ist gut organisiert und trotz „Rudelbildung“
geht es effizient. Im Osten geht gerade die Sonne auf und ich freue mich auf
das recht flache Stück rüber zur First. Endlich sind ein paar Meter im
Laufschritt möglich. Ich versuche regelmässig und genügend zu trinken und so
alle 45 Minuten einen Gel zu konsumieren. Die Stirnlampe habe ich inzwischen
gegen die Sonnenbrille getauscht.
Die First erreiche ich genau nach meinem Zeitplan nach
2:30h. Jetzt kommt der erste steile Downhill nach Bort (-650m). Der geht schon
mal in die Muskeln und gibt eine Ahnung, was noch kommen soll. In Bort fülle
ich die Flaschen wieder und mache gleich noch eine Pinkelpause, da es dort ein
offizielles WC hat. Dann gleich wieder in den Uphill-Modus wechseln und wieder
hoch zur First. Jetzt ist das Feld schon ziemlich aufgelöst und ich muss mein
eigenes Tempo finden. Ich orientiere mich an der Pulsuhr und bleibe stets
leicht unter 170 BPM. Im Nachhinein würde ich sagen, da hätte ich es vielleicht
etwas langsamer angehen sollen. Jedenfalls bin ich immer noch perfekt in meinem
Zeitplan, als ich zum zweiten Mal auf der First stehe. Flaschen füllen und
weiter.
Strecke Etappe: 15.0
km
Strecke Total: 22.7
km
Hm Etappe: +950
m / -750 m
Hm Total: +2‘050
m / -900 m
Zeit Etappe : 2:10 h
Zeit Total: 3:55
h
Voll im Plan - (First – Faulhorn)
Es folgt ein eher einfaches Teilstück mit leichten Auf- und
Abstiegen bis zum nächsten Verpflegungsposten bei der Oberläger Bussalp.
Malerisch ist die Passage am Bachsee. Hier hat es nun einige Wanderer auf der
Strecke, die Wege sind aber breit und die Passage deshalb kein Problem. Hier
werde ich von den ersten E51-Läufern überholt. Die sind zwar 2.5h später
gestartet, mussten aber die Schlaufe nach Bort nicht laufen. Bei mir alles im
grünen Bereich. Ich geniesse den Lauf und den Tag.
Am Bachalpsee |
Auf der Oberläger Bussalp fülle ich beide Flaschen voll auf,
da es auf dem Faulhorn kein Wasser zum mitnehmen gibt. Dann geht es in den
650m-Anstieg zum höchsten Punkt der Strecke. Mein Plan war um 11:00Uhr auf dem
Faulhorn zu sein. Datasport stoppt mich dort um 10:50Uhr. Perfekt! Höchster
Punkt erreicht! Das Leben ist schön! Zur Feier gibt es zwei Becher Cola und ein
Stück Brot.
Faulhorn in Sicht |
Mein Plan sieht nun den Abstieg bis nach Burglauenen (2100m
auf knapp 20km) in rund zwei Stunden vor.
Strecke Etappe: 10.4
km
Strecke Total: 33.1
km
Hm Etappe: +1000
m / -500 m
Hm Total: +3‘050
m / -1‘400 m
Zeit Etappe : 2:25 h
Zeit Total: 6:20
h
Der Plan löst sich auf - (Faulhorn – Schynige Platte)
Landschaftlich ist nun besonders schön, da man links das
Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau hat, und rechts den Thuner- und den
Brienzersee. Es gäbe also viel zu sehen, müsste man sich nicht auf die nun
teilweise ziemlich tricky Wege konzentrieren. Zudem hat es viele Überholer
(E51) und viele Wanderer. Die Wege sind eng und es hat viele Steine, Stufen,
Geröll etc.. Ich hänge mich an eine Läuferin, welche den linken Unterarm
anscheinend gebrochen hat. Ihre Pace passt perfekt für mich, und ich bewundere,
dass sie das ohne Stöcke läuft. Ich nehme diese praktisch jeden Meter zu Hilfe.
Blick auf Interlaken und Thunersee |
Langsam werden die Beine etwas müder und ich überlege mir,
wie viel Gas ich hier geben darf, damit ich mich nicht zu sehr verausgabe oder
einen Misstritt machen könnte. Kurz vor der kleinen Verpflegungsstation Egg,
stürzt meine Pacemakerin und ich mache mir Sorge, dass sie das Rennen aufgeben
muss. (Sie überholt mich dann 4km vor dem Ziel wieder, die Sorge war also zum
Glück unbegründet. Unglaublich mit gebrochenem Arm).
Der Blick auf die Uhr lässt meinen Zeitplan zur Makulatur
werden. Silvia wartet in Burglauenen auf mich, muss aber dort um 13:27 Uhr den
Zug nach Hause nehmen. Ich wollte um 13:00 Uhr dort sein. Nun ist es 12:45 Uhr
und ich bin noch nicht mal auf der Schynigen Platte. – Ironie des Schicksals:
Ich bin genau bei der Marathon-Distanz. Ab hier beginnt der Ultra-Marathon. Und
hier habe ich meine erste mentale Krise. Irgendwie dämmert mir, dass der Tag
noch lange ist und die Nacht noch viel länger werden könnte.
Während ich bei den vorhergehenden Verpflegungsposten
jeweils möglichst rasch weiter gezogen bin, nehme ich mir hier auf der
Schynigen Platte Zeit. Ich telefoniere kurz mit Silvia und sage ihr, sie solle
nicht auf mich warten. Das macht mich etwas traurig, da sie mich zum ersten Mal
live während eins Laufes gesehen hätte. Dann trinken und essen (Pommes Chipes)
und etwas absitzen. Ich habe das Gefühl, auch bei anderen Läufern hat das
Leiden inzwischen eingesetzt. Als ich nicht mehr essen und trinken mag, muss
ich wohl oder übel weiter. Mit Sitzen alleine gewinnt man kein Finisher-Shirt.
Strecke Etappe: 10.9
km
Strecke Total: 44.0
km
Hm Etappe: +250
m / -800 m
Hm Total: +3‘300
m / -2‘200 m
Zeit Etappe : 2:10 h
Zeit Total: 8:30
h
Jetzt wird es hart - (Schynige Platte – Burglauenen)
Ich hänge mich hinter ein Lauf-Paar mit Basler-Dialekt. Pace
ist tiptop in diesem langen und steilen Downhill. Die beiden laufen extrem
locker und plappern dauernd etwas zusammen. Mir ist das plappern vergangen und
ich konzentrier mich einfach drauf, keinen Misstritt zu machen. Meine Stimmung
ist immer noch gedrückt obwohl es mir körperlich eigentlich sehr gut geht. Die
Füsse machen keine Beschwerden, Muskeln sind okay, sonst keine Schmerzen (Knie,
Hüfte, Rumpf, Schultern, oä.). – Was jammere ich mir eigentlich innerlich eins
vor???
Der Abstieg ist aber einfach nur steil und technisch
anspruchsvoll. Zwischendrin gibt es dann auch noch einen giftigen kurzen
Gegenanstieg und Burglauenen will einfach nicht näher kommen. Trotzdem wird die
Wand auf der gegenüberliegenden Talseite immer höher. Da müssen wir nachher
rauf!
Irgendwann überhole ich dann „Team Basel“ und was nun folgt,
wird sich auf den nächsten 25km mehrmals wiederholen. Sobald ich vorne liege,
bekomme ich Krämpfe und komme nicht mehr richtig vorwärts. Die beiden überholen
wieder und mir geht es wieder besser. Ich vermute einen Voodoo-Zauber und die
nette Dame bekommt auf dem Lauberhorn offiziell den Übernamen „Voodoo-Girl“.
"Halbzeitpause" in Burglauenen nach 10 Stunden |
Dann um 14:25 Uhr laufe ich doch noch in Burglauenen ein.
Silvia ist schon eine Stunde weg und ich weiss nicht recht, was ich mit mir
anfangen soll. Ich deponiere Rucksack und Stöcke und hole mir mal ein Stück
Wassermelone. Dann hole ich mir meinen Dropbag und schaue mal was ich davon
brauchen kann:
-Energie-Gels: sofort alle in den Laufrucksack umladen
-Knoppers: eines essen, die restlichen bleiben im Dropbag
(mag nicht essen)
-Ersatz-Laufshirt: wechsle ich, damit ich etwas zu tun habe
-Sonnencrème: brauch ich nicht. Der Himmel ist leicht
bedeckt und ich bin eh so dreckig, dass die Sonne nicht mehr auf die Haut
kommt.
Ich nutze die Gelegenheit und mache noch einen Halt auf dem
Toitoi. Dann finde ich keinen Zeitvertreib mehr und muss wohl oder übel weiter.
(Hab ich schon erwähnt, dass man mit Sitzen kein Finisher-Shirt gewinnt?)
Strecke Etappe: 8.5
km
Strecke Total: 52.5
km
Hm Etappe: +150
m / -130 m
Hm Total: +3‘450
m / -3‘500 m
Zeit Etappe : 1:25 h
Zeit Total: 9:55
h
Und noch härter – (Burglauenen – Wengen)
Für mich verändert sich nun die Charakteristik des Rennens.
Die E51-Läufer laufen nun durchs Tal direkt nach Grindelwald zurück. Wir
E101-Läufer machen uns alleine wieder auf den Weg in die Höhe. Es gibt für uns
keine Hektik mehr. Jeder läuft nun nur noch für und gegen sich.
Perfektes Timing von mir (ironisch). Als ich den
Verpflegungsposten verlasse, senkt sich am Bahnübergang die Barriere. Der
Sicherheitsposten fordert mich aber auf, noch drüber zu gehen, da der Zug noch
weit weg sei. Danke! Gleich eine Minute eingespart!
Es folgen nun 750m Austieg, wo es eigentlich gar keinen Weg
geben kann. Das Highlight ist eine Passage auf einem Gitterrost, welcher an
eine Felswand befestigt ist. Nur Rost, Fixseil und Abgrund! – Nun kommen die
Krämpfe bereits im Aufstieg. Manchmal verhärten sich die Waden, dann wieder die
Oberschenkel. Ich mache kurze Pausen und zwinge mich dann, jeweils einen Gel
runter zu spühlen. Favorit sind nun die salzigen Gels, welche leider nicht so
toll schmecken.
Aufstieg |
Das Problem bei solchen Ultra-Geschichten ist die
Energieversorgung. Entweder der Magen ist voll und du hast Energie, dafür
ständig einen leichten Brechreiz, oder der Magen fühlt ich gut an, da leer,
dafür aber keine Power in den Beinen. Dilemma! – Essen mag man natürlich auch
nicht mehr wirklich, wenn es einem immer leicht Übel ist oder wird. – Zum Glück
wurden wir von unseren Müttern in der Kindheit darauf konditioniert, dass Cola
bei Übelkeit das Beste ist. So ist dann die schwarze Medizin das
Verpflegungsposten-Highlight und hat schon manchen Ultra-Läufer gerettet. Und
während der immense Zuckergehalt beim Genuss vor dem TV nur fett und träge
macht, gibt er dem Läufer die Energie um noch ein Stückchen weiter zu kommen!
Danke Cola, danke Mama!
Irgendwann überholt mich dann „Voodoo-Girl“ und es bessert
mit den Krämpfen. Auch dieser Aufstieg ist einmal zu Ende und wird natürlich
nahtlos von einem Abstieg abgelöst. Unglaublich, wir steigen nun 400m nach
Wengen ab, trinken 2 Becher Cola und steigen dann wieder 1000m auf den
Männlichen hoch! – (Wenn ich mir das während dem Rennen überlegt hätte, wär das
wohl das Ende gewesen.)
In Wengen dann die Gewissheit. Urs Jenzer hat das Rennen
inzwischen gewonnen. Der Sieg liegt für mich nicht mehr drin. J -
Mein eigentliches aktuelles Problem ist aber die 1000m-Wand zwischen Wengen und
dem Männlichen. Mein Trost: Wenn ich da rauf komme, sind zum einen die Chancen
auf den Finish schon ziemlich gut. Zum Anderen gäbe es von dort eine direkte
Bahn nach Grindelwald. Fazit: Ich muss da rauf!
Strecke Etappe: 8.8
km
Strecke Total: 61.3
km
Hm Etappe: +750
m / -400 m
Hm Total: +4‘200
m / -3‘900 m
Zeit Etappe : 2:30 h
Zeit Total: 12:25
h
„Die 1000-Meter-Wand“ – (Wengen – Männlichen)
Ich packe meine Stöcke wieder und watschle los. Was denkt
man sich in so einer Situation?
1.) Druck wegnehmen. Wenn ich ausgeruht wäre, würde ich den
Aufstieg in rund 1.5h bewältigen. Ich muss das aber nun nicht schaffen. Es ist
jetzt 17:10 Uhr. Um 20:00 Uhr will ich da oben sein. Ich habe alle Zeit der
Welt!
2.) Ich kann stolz sein. Mein längster Lauf bis jetzt waren
die 100km von Biel mit 10:37h. Jetzt bin ich schon über 12 Stunden unterwegs
und bewege mich immer noch vorwärts. Ich erweitere meine Komfortzone. (Fürs
Protokoll: Ich erweitere nicht meine Komfortzone, sondern verschiebe lediglich
meine Grenzen. Mit Komfort hat das definitiv noch nichts zu tun!)
Dort oben ist der Männlichen. Es sind nur noch 1000m. Allerdings vertikal gestapelt! |
Ich glaube Ultra-Lauf hat mehr mit Erfahrung als mit
schierem Willen zu tun. Nach einer Stunde Aufstieg sind nämlich die
Krampferscheinungen nichts Neues mehr und ich weiss, dass ich trotzdem
weiterlaufen kann. Pause machen, Gel spühlen, weiter! Auch den anderen Läufern
geht es etwa ähnlich. Man überholt, pausiert, wird überholt, überholt wieder,
….
Nicht nur ich habe Mühe, auch meine Garmin Fenix hat sich
inzwischen aufgehängt. 50 Stunden sollte diese laufen, jetzt ist sie eher tot
als ich. Die 80 Franken Pulsuhr läuft wenigstens noch. Und Freude macht mir
mein Iphone. Wenn man Standortdienste, Mobile Daten, WLAN und Blootooht
auschaltet, dann kann das Ding zwar nicht mehr viel mehr als ein Nokia 3310,
dafür hält der Akku wohl eine Woche durch! Und für ein paar Fotos reicht es
auch noch.
In den Lawinenverbauungen |
Wettertechnisch macht es nun etwas zu. Im Westen sehe ich
bereits Wolken die sich ausregnen. Ich glaube das grosse Gewitter wird
ausbleiben, aber nass könnte es werden. Der OK-Präsident Ralph Näf steht nicht
etwa an der Ziellinie in Grindelwald. Er hat sich mit einem Metorologen in den
Lawinenverbauungen am Männlichen platziert, wo sie die Wetterentwicklung am
Besten beobachten und allfällige Massnahmen ergreifen können. Ein Chef der dort
steht, wo im wahrsten Sinne die Kanonen donnern. – Der Donner bleibt dann aber
aus, ein erfrischender Regen setzt für 10 Minuten ein, und als dieser vorüber
ist, stehe ich auf dem Männlichen. Eine Stunde und fünfundfünfzig Minuten. Ich
war viel schneller als ich für möglich gehalten hätte! – Strike!
In der Verpflegungszone wird gerade die Postenchefin vom
Schweizer Fernsehen gefilmt. Sie nimmt mich gleich in Beschlag und will wissen,
ob ich Wasser auffüllen will. Ich bin ob der Fürsorge völlig überfordert und
meine sie ist eine Ärztin, welche mich aus dem Rennen nehmen will. Es ist aber
alles in Ordnung und ich will einfach etwas Ruhe. Ein freudiges Wiedersehen mit
Team „Voodoo-Girl“, dann Cola, dann Gel bunkern, dann Flaschen füllen, dann
weiter. (Dummerweise vor Team „Voodoo-Girl“)
Strecke Etappe: 6.5
km
Strecke Total: 67.8
km
Hm Etappe: +1‘250
m / -200 m
Hm Total: +5‘450
m / -4‘100 m
Zeit Etappe : 1:55 h
Zeit Total: 14:20
h
Aufgabe und Comeback – (Männlichen – Kleine Scheidegg)
Jetzt käme die Strecke zum Tempo machen. Schöne breite
Strasse, leicht abfallend Richtung Kleine Scheidegg. Leider macht meine
Muskulatur keinen Laufschritt mehr mit. Mein Ziel, noch bei Tageslicht über die
Lauberhornschulter kommen und den Hundschopf sehen. Eile mit Weile ist
angesagt.
Bei der Überquerung eines kleinen Bachs passiert es dann.
Ich stolpere beim balancieren über die Steine und augenblicklich habe ich
brutale Krämpfe in beiden Beinen! Insbesondere der linke Oberschenkelmuskel
hinten macht komplett zu. Schmerz und Lähmung! Ich humple an den Wegrand und
setze mich ans Bort. Sinnkrise! – Der nächste Läufer fragt mich, was ich habe.
„Krämpfe“- „Hast Du was dabei zum nehmen?“ – „Nein“ (War ja auch nicht
abzusehen, dass ich Krämpfe bekommen könnte) – „Hier, ich hab das schnellst
wirkende Magnesium dabei. Nimm gleich drei Portionen“ – „Danke“ – „Das wirkt am
schnellsten! Jetzt wirst du natürlich nichts merken, aber in zwei Stunden
spürst du die Wirkung bereits. Tschüss!“
Toll! In zwei Stunden ist alles wieder gut! Also alles kein
Problem! – Wieso mache ich das? Wegen den Quali-Punkten für den UTMB? Wieso
will ich denn an den UTMB, wenn ich nicht mal den EUT schaffe? – Jetzt ist ein
klarer Entschluss gefordert: „Ich gebe auf. Ich schlepp mich zur Kleinen
Scheidegg und nehme die Bahn nach Grindelwald. Dann ins Auto und ab nach Hause.
Jetzt ist vor 20:00 Uhr, vor Mitternacht kann ich also zu Hause sein!“
Mein innerer Film läuft weiter: „Wie erkläre ich Silvia um
Mitternacht zu Hause, dass es nicht geschafft habe, wenn der Zielschluss erst
um 8:30 Uhr ist und ich es aber selber bis nach Hause geschafft habe?“ –
Dilemma. – Okay, ich geb auf, aber nicht kampflos. Ich mache weiter, bis ich
eine Cutoff-Zeit verpasse. Das ist heldenhafter.
Wie bekomme ich nun den Krampf im Oberschenkel los? (Ausser
durch 2 Stunden warten?) – Ich muss ihn ja gar nicht loswerden. Gehen kann ich
zwar so nicht mehr, aber humpeln geht ja noch. Das ist dann aber so mühsam,
dass es sogar dem Krampf zu viel wird und nach 30 Metern löst er sich und es
geht wieder im Marschtempo weiter. Unglaublich! Wieder eine Erfahrung reicher.
Dann weist ein freundlicher Mann von der Bergwacht den Weg
zur Lauberhornschulter. Wie viel Aufstieg? Ist mir egal, ich werde es schaffen.
Bergauf bin ich nämlich auch gar nicht mehr langsam. Team „Voodoo-Girl“
überholt mich (zum letzten Mal), wir laufen gemeinsam aufwärts und die Welt ist
wieder in Ordnung. Die Sonne neigt sich dem Horizont zu, eine malerische
Stimmung will aufkommen, da wummt uns ein satter Bass entgegen. Ein paar Jungs
feiern Technoparty beim Lauberhorn-Starthaus. Aufstieg geschafft und gleich
wieder Abstieg. Würde im Winter mit den Skiern sicher mehr Spass machen. Russi-Sprung,
nachher Hundschopf. Ein Bergwacht-Mann macht ein Foto von mir an dieser Stelle.
Dann Abstieg auf die Wengener-Alp, dann gleich wieder sanfter Aufstieg zur
Kleinen Scheidegg. Die Pulsgurt hat keine Batterie mehr und die Pulsanzeige
bleibt leer. Das stört mich nicht mehr heftig, schade finde ich aber, dass der
Kalorienzähler auch nicht mehr läuft. Er ist bei ungefähr 14‘000
stehengeblieben. Geile Zahl! Wie viele BigMacs sind das?
Hundschopf-Selfie |
Vor der nächsten Etappe zum Eigergletscher habe ich Respekt.
Deshalb bin ich froh, dass der Verpflegungsposten hier im Bahndepot drinnen
ist. Jetzt gilt es die „Nachtkampftauglichkeit“ zu erstellen (Stirnlampe, lange
Ärmel). Im Depot riecht es nach Öl bzw. Panzerhalle. Sonst ist es aber
gemütlich. Ich erschrecke aber ob der Bilder. Einige Läufer sitzen wie tote
Fliegen auf den Stühlen. Die Sanitätsprischen sind alle belegt mit Läufern,
welche Infusionen stecken haben. Die Massageliegen sind ausgebucht.
„Voodoo-Girl“ muss sich leider auch behandeln lassen, da der Rucksack ihr den
Rücken wundgescheuert hat.
Ich merke, dass ich nicht der einzige bin, welcher leidet.
Das gibt mir Auftrieb. Ich schnappe mir einen Stuhl, trinke einen Becher Cola,
grabble die Stirnlampe aus dem Rucksack, schnappe mir zwei Gels und mache mich
dann wieder auf den Weg. Warten bringt nichts. (Mit Sitzen holt man …..
-Shirt!)
Food-Station "Kleine Scheidegg" |
Strecke Etappe: 10.0
km
Strecke Total: 77.8
km
Hm Etappe: +400
m / -650 m
Hm Total: +5‘850
m / -4‘750 m
Zeit Etappe : 2:15 h
Zeit Total: 16:35
h
Adventure-Trip - (Kleine Scheidegg – Alpiglen)
Es ist nach 21:00 als ich mich auf die Querung rüber zur
Eigergletscher-Moräne mache. Das Tageslicht schwindet und ich schalte die
Stirnlampe ein, wie es sowieso gemäss Reglement zu dieser Zeit obligatorisch
ist. Drei Franzosen überholen mich, sind dann aber auch nicht mehr viel schneller,
als es aufwärts geht. Sensationellerweise bemerke ich nun auf einmal, dass die
Krämpfe nun weg sind. Das Zaubermittel (Doppelherz aktiv) wirkt tatsächlich!
Nun wird mich nichts mehr aufhalten. Ich beginne wieder mit dem Rechnen. Ich
kann es unter 24h schaffen!
Es herrscht nun ein böiger Sturmwind und fegt mich einmal
fast von der Moräne. Am Jungfrau-Marathon steht hier der legendäre Dudelsackspieler.
Heute pfeift nur der Wind für mich. Vorne die drei Lampen der Franzosen, hinter
mir zwei weitere Lampen, oben an der Station Eigergletscher zwei
Bergwacht-Leute. Ziemlich einsame Sache hier oben heute Nacht.
Sobald ich auf der anderen Seite der Krete bin, hört der
Wind schlagartig auf und es wird wieder so warm, dass ich die langen Ärmlinge
nach vorne schiebe. Jetzt bin ich direkt am Fuss der Eigernordwand und komme
auf den Eiger-Trail, welcher mich hinunter nach Alpiglen führt. Der Weg ist
gut, aber in der Nacht und bei der aktuellen Erschöpfung will ich keine
Verletzung riskieren und gehe den Abstieg vorsichtig an. Sensationell ist die
Streckenmarkierung auch bei Nacht. Dank Leuchtspray und Glowsticks kann man die
Strecke nicht verfehlen. Auch stehen an den neuralgischen Punkten
Bergwacht-Leute und ich fühle mich sehr sicher auf der Strecke.
Nächtlicher Abstieg |
Über mir sehe ich ein Licht in der Station Eigerwand. Anhand
diesem kann ich meinen Fortschritt beim Abstieg am besten beobachten. Es wandert
immer höher über mich. Dann tauchen unter mir Lichter auf. Ich frage den nächsten
Bergwacht-mann, ob dies Alpiglen ist. Er bejaht und meint ich brauche noch ca.
20 Minuten bis dahin. Im Dunkeln lauert dann auch noch ein Fotograf. Die Leute
auf den Posten sind nicht zu beneiden. Ich werde bald in Grindelwald sein, sie
müssen noch Stunden bis zum letzten Läufer ausharren.
Um 23:30 treffe ich an der Verpflegungsstation ein. Einen
Melonenschnitz bringe ich runter und eine Flasche lasse ich auffüllen. Dann
drehe ich mich um und laufe in der falschen Richtung davon.
Strecke Etappe: 8.9
km
Strecke Total: 86.7
km
Hm Etappe: +300
m / -750 m
Hm Total: +6‘150
m / -5‘500 m
Zeit Etappe : 2:25 h
Zeit Total: 19:00
h
Endspurt - (Alpiglen – Finish)
Die Helfer machen mich auf meinen Irrtum aufmerksam und ich
fühle mich etwas dämlich. Anyway, nach 19h auf den Füssen kann man sich ja mal
irren. Der Abstieg geht jetzt über steile Kies- und teilweise Asphaltstrassen.
Seit einigen Kilometern spüre ich das rechte Knie ein wenig und will deshalb
nicht forcieren. Zudem verkrampft sich jetzt meine Rumpfmuskulatur leicht. Auch
die hat es den ganzen Tag gebraucht. Ein anderer Läufer hat sich hinter mich
gehängt. Ich habe das Gefühl, er ist schneller und will ihn passieren lassen.
Seine Antwort: „You have a good pace, i will follow you“. Paul ist aus England
und wir werden die restlichen 14km zusammen absolvieren. Schicksalsgemeinschaft
nennt man das.
Brutal ist, dass man in der Ferne die Lichter der Pfingstegg
sieht. Dort müssen wir auch noch hin. In Alpiglen sind wir noch höher, dann
sind die Lichter auf einmal immer weiter über uns. Ja, der letzte Aufstieg
lauert. Ich erinnere mich an die Wanderung vom Dienstag mit Silvia. Ob Paul die
Strecke auch so gut kennt wie ich? Ich freu mich jedenfalls nicht auf diese
Schlaufe!
Über die Gletscherschlucht |
Dann endlich beginnt der Aufstieg. Ich fühle mich sehr gut
und kann recht Tempo machen. Vorsichtigerweise nehme ich aber nochmals ein Gel,
damit ich nicht im Schlussaufstieg schlapp mache. Es geht nun wieder auf
technischem Trail durch den dunklen Nachtwald. Die beleuchtete Gletscherschlucht
kommt näher und das tosen des Baches wird lauter. Noch ein kurzer giftiger
Abstieg zur Brücke über die Schlucht, dann beginnt der Aufstieg beim
Marmorbruch auf die Pfingstegg. Am Marmorbruch-Verpflegungsposten sitze ich
kurz ab und munitionere das letzte Mal mit Gel und Wasser auf. Das reicht nun
bis ins Ziel. Ich frage nach den Höhenmetern. 250 bis Pfingstegg ab hier. Also
los.
Ich motiviere mich mit dem Gedanken, dass 250Hm nur einmal
1000er-Stägli sind. Das schaffe ich normal unter 15 Minuten. Also vorwärts.
Paul brummelt von hinten „That’s pure punishment!“ – Dann sind wir oben und
sehen unten in Grindelwald das Zielgelände. Am Verpflegungsposten halten wir
nicht mal mehr. Der brutal steile Abstieg ist dann nochmals eine ziemliche
Geduldsprobe für mich. Wir werden noch von verschiedenen Läufern überholt, ich
getrau mich aber nicht mehr zu forcieren. Ich rechne. Wir sind nun 21:30h
unterwegs. Ich will es unter 22h schaffen. Sobald wir im Tal ankommen, weihe
ich Paul in meinen Plan ein. „We can break 22 hours. Can you run?“ Paul kann und so hetzen
wir über den Campingplatz und der Puls steigt wieder mal etwas an. Nun fehlen
nur noch ca. 70 Höhenmeter hoch ins Dorf. Auch diese packen wir. Und nochmals
Laufschritt entlang der Hauptstrasse bis zum Zielgelände beim Kongresszentrum.
Die Datasport-Uhr zeigt eine Laufzeit 21:44h, als wir unter dem Zielbogen
durchlaufen. Es ist 02:15 Uhr am Morgen. Der Eiger Ultra Trail 2014 ist für
mich Geschichte! Was für eine Fülle von Eindrücken!
Strecke Etappe: 14.3
km
Strecke Total: 101
km
Hm Etappe: +550
m / -1200 m
Hm Total: +6‘700
m / -6‘700 m
Zeit Etappe : 2:44 h
Zeit Total: 21:44
h
Zieleinlauf mit Paul |
Fazit
Meine Ausrüstung hat sich mit Ausnahme der Fenix sehr gut
bewährt. Die körperlichen Beschwerden hielten sich mit Ausnahme der Krämpfe im
Rahmen. Ich denke für einen erfolgreichen Finish in so einem Rennen braucht es
eine gewisse körperliche Verfassung, dann aber vor allem Erfahrung und viel
Geduld, zudem auch eine Prise Glück.
Während ich mitten im Rennen kurz gezweifelt hatte, ob ich
so was wieder mal machen will, freue ich mich nun zwei Tage später auf die
nächste Gelegenheit, es noch etwas besser zu machen! Am 16. August ist Mountainman-Time!!!
Morgen-Selfie vor dem Eiger |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen